Heute machen wir uns einen schönen Tag

Tagesablauf im Pflegeheim Stern

7 Uhr: Mein Wecker klingelt. Frühstück machen.

7.20 Uhr: Die Frau von der Diakonie ruft an um zu sagen, dass sie in 5-10 Minuten kommt, um meinen Vater zu waschen. Seit dem vorletzten Krankenhaus-Aufenthalt meiner Mutter kommen sie jeden Tag. Immer noch. Gott sei Dank. Das ist die Zeit in der ich auch schnell duschen kann. Oder mal einen Kaffee alleine in Ruhe trinken kann. Heute wähle ich die Dusche. Herrlich.

Dann fährt zuerst meine Mutter mit dem Treppen-Lift runter und ich hole den Lift mit der Fernbedienung wieder hoch und bringe meinen Vater zum Frühstück. Meine Eltern wohnen im 3 Stock. Frühstück gibt es aber in der alten Kneipe, im 1.Stock. Nicht sehr praktisch. Ich weiß.

Heute meinte meine Mutter: wir könnten uns doch einfach mal einen schönen Tag machen.

Ja, sehr gerne, denke ich sofort. Ich frage was sie denn dann machen wollen. Erstmal stellen wir fest, dass wir heute weder zum Arzt noch zum Einkaufen müssen. Auch nicht putzen. In den Fremdenzimmer habe ich ja gestern die Betten frisch bezogen und die Zimmer sind geputzt.

9 Uhr: Kommt nochmal die Diakonie, diesmal zum Stützstrümpfe anziehen. Das müssen ausgebildete Krankenschwestern machen.

9.30 Uhr: Ich muss doch noch mal zur Apotheke fahren. Gestern waren wir erneut beim Hausarzt und haben andere Schmerztabletten für meine Mutter verschrieben bekommen. Stärkere. Heute geht es ihr ein wenig besser. Vorher nochmal mit meinem Vater auf die Toilette. Das dauert.

10 Uhr: Nun nehme ich die B Klasse meiner Eltern und fahre nach Kirchberg in die Apotheke. Kirchberg ist zwei Ortschaften entfernt. Auf dieser Strecke kenne ich jede Kurve und ich weiß auch nicht warum man auf bekannten, kleinen, kurvigen Landstrassen immer so schnell fahren möchte. Liegt es daran, dass ich früher mit meinen, immer etwas älteren, Freunden auf deren Motorrädern durch die Gegend geheizt bin? Heute nun also mit der B Klasse. Nachdenklich.

11 Uhr: Ich schreibe in der Kneipe etwas an diesem Beitrag da kommt Francesco, einer der Gäste, die hier in der Pension meiner Eltern übernachten. Er arbeitet in dem italienischen Restaurant im Ort hier und wohnt seit Monaten bei meinen Eltern. Ein sehr netter und hilfsbereiter Mensch. Das Lokal, in dem er arbeitet, bietet nun auch nur noch Essen zum abholen an.

Was er aus Italien erzählt treibt mir die Tränen in die Augen. Das ist wirklich eine Tragödie. Schrecklich.

Wir bestellen über ihn unser Mittagessen, eben bei diesem Restaurant. Meine Eltern wollen das Lokal auch unterstützen und außerdem: Wir machen uns ja einen schönen Tag. Das Kochen fällt zur Feier des Tages aus.

11. 30 Uhr: Was sich meine Eltern wünschen ist, dass sie mal wieder auf den Friedhof gehen. Der Bruder meiner Mutter, also mein Onkel, ist vor 3 Jahren gestorben und hat jetzt seinen Grabstein bekommen. Mein Vater will auch mal wieder mit. Das dauert natürlich alles . Erstmal wieder beide mit Lift runter fahren. Ins Auto. 2 Minuten dauert die Autofahrt. Aus dem Auto in den Rollstuhl. Dann mit dem Rollstuhl über den Friedhof. Meine Mutter humpelt neben uns her.

Danach fahren wir noch kurz zu meiner Tante, die auf einem Aussiedlerhof lebt ( 4 Minuten Fahrt) Meine Tante ist auch sehr gebrechlich. Wir unterhalten uns wieder aus der Ferne. Schön war es. Sie haben sich auch schon alle eine Weile nicht mehr gesehen.

Dann alles wieder rückwärts. Mama und Papa aus dem Auto. Zweimal Lift fahren. Das dauert.

Jetzt ist es 12.30 Uhr. Zeit um das bestellte Essen bei Toni zu holen. Die Frau von Toni ist schwanger, in 3-4 Monaten kommt das Kind. Er macht sich Sorgen um seine Frau und um sein ungeborenes Kind. Wegen Corona. Er erklärt mir, dass er es sich nicht mehr leisten kann das Essen zu Mittagstisch-Preisen rauszugeben. Es rechnet sich halt nicht, wenn so wenige kommen. Klar. Denke ich. Kein Problem. Da sagt er jedoch: „natürlich gilt das nicht für euch. Ihr seid ja wie Familie.“

Ich bin gerührt und gebe ein sehr großzügiges Trinkgeld.

Wir sind gegen 13.15 Uhr fast fertig mit Essen da ruft Francesco an und sagt: „ komm schnell nochmal runter zu uns, Toni hat vergessen das Pizzabrot einzupacken.“

Also, fahr ich schnell runter und jetzt: Mein Highlight!

Ich nutze die Gelegenheit und trinke einen wahnsinnigen leckeren Espresso mit meiner neuen italienischen Familia;-) Göttlich!

Wir halten Abstand und geniessen den Espresso. Wir sind zu dritt.

Wir unterhalten uns und sind uns einig, dass es schön ist etwas Kontakt zu haben. Wir sind uns auch einig, dass es Deutschland bisher vergleichsweise gut hinbekommt mit der Pandemie, weil wir von Italien lernen konnten. Aus den Fehlern in dem Fall. Weil wir es dort beobachten konnten.

13.45 Uhr: Wieder zurück im Stern. In der Zeitung wird vom ersten Corona-Fall im Ort berichtet. Corona ist angekommen in Erbstetten. Gestern Abend hat noch die Fusspflegerin abgesagt weil sie in Quarantäne ist . Auch ein Freund meiner Eltern hat angerufen um zu sagen, dass er in Quarantäne ist, weil er eben bei dieser Fußpflegerin war.

Jetzt rückt es auch hier näher und irgendwie gleich viel näher, weil alle sich kennen und oder Kontakte sich häufig überschneiden.

Noch etwas aufräumen, spülen, „gschwind“ rüber auf die Volksbank, da es etwas zu klären gibt auf dem Konto meines Vaters. Ach ja und 3 Fremdenzimmer schnell machen. Gebügelt hatte meine Mutter natürlich auch schon. Vater hoch, aufs Klo, ins Bett. Lift runter für Mutter. Mutter hoch, ins Bett und ihre Umschläge für sie machen. Ganz ohne „schaffa“ gehts halt nicht.

Mittagspause. Blog schreiben oder kurzer Spaziergang? 15 Uhr ist es inzwischen.

Jetzt bring ich doch noch kurz den Teller von Anneliese zurück. Sie ist die beste Freundin meiner Mutter. Ich kenne sie schon mein ganzes Leben. Ihr Sohn ist 8 Tage jünger als ich.

Wir unterhalten uns wieder aus 2 Metern Entfernung. Sie steht in der Eingangstür. Da überrascht sie mich plötzlich mit einer Glasschale, die sie vor 40 Jahren aus dem Stern von meiner Mutter bekommen hat. Und 40 Jahre in Ehren gehalten hat. Jetzt könne doch ich diese Schale weiter in Ehren halten. Vielleicht auch 40 Jahre lang. Dann bin ich 95, sage ich. Na und, sagt sie. Wir haben sehr gelacht. Ich gehe noch kurz spazieren.

16 Uhr: Zurück im Stern.

Patienten werden geweckt und aus dem Bett geholt. Zum Glück gibt es seit einigen Wochen ein Pflegebett für meinen Vater. Das hilft sehr.

Mein Vater möchte „Kaffee oder Tee„ schauen, da wird heute gekocht und Yoga gezeigt. Das bestärkt mich wieder in meinen Zweifeln, ob das Online-Unterrichten so richtig funktioniert. Also so nicht, wie ich es eben im Fernsehen sehen musste. Schrecklich.

17 Uhr: Zeit um am Blog zu schreiben.

18 Uhr: Mein Vater ruft mit dem Haustelefon an und meint: „Ich habe Hunger“.

Ich backe das Pizzabrot im Ofen auf. Sehr Lecker.

Inzwischen ist es 19 Uhr. Ich beantworte emails.

20 Uhr: Gemeinsames Nachrichten schauen.

Danach geh ich wieder an meinen Schreibtisch. Wir haben beschlossen, dass meine Mutter heute meinen Vater und sich selbst alleine ins Bett bringt. Als Test.

Vielleicht kann ich bald wieder ein paar Tage nach Karlsruhe. Das wäre schön. Es ist natürlich viel schöner bei der Liebsten und der Katze.

Aber hier gibt es auch viele schöne Momente und ich bin froh, dass ich die Zeit habe und hier sein kann. Ich hoffe so sehr, dass wir durch diese Krise kommen, ohne dass einer von ihnen ins Krankenhaus oder ins Pflegeheim kommt.

Ich habe gehört, wenn man das Vaterunser betet während des Händewaschens dann ist es lange genug. Also das Händewaschen natürlich. In diesem Sinne.

Schlaft gut.

Sasa

Besagte Schale
Es ist schon sehr idyllisch hier
Schwäbische Kirschblühte

Eine Antwort auf „Heute machen wir uns einen schönen Tag“

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert