Rückkehr nach Erbstetten

Mitte der 80er Jahre, ich war vielleicht 21 Jahre alt, fragte mich meine Mutter, ob ich wohl mit Frauen zusammen wäre. Ich musste also für mein Coming-out nur noch ja sagen, allerdings war dieses Ja der Beginn eines großen und lange anhaltenden Streits zwischen meinen Eltern und mir. Viel mehr zwischen meiner Mutter und mir, mein Vater hat sich nämlich eher rausgehaltenen aus dieser Auseinandersetzung. Das hört eine ja oft bei solchen Coming-Out-Geschichten. Dass die Väter sich vielleicht nicht so bedroht fühlen von dem Lesbisch-Sein der Tochter ist eine Vermutung. Wie auch immer. Es waren sehr verletzende Streits. Ich habe mich auf jeden Fall ungeliebt und komplett abgelehnt gefühlt. Wir hatten darauf hin auch länger gar keinen Kontakt. Und ich habe seit dem auch nie wieder Freund:innen mit gebracht.
Und dann kam Ruth. Ruth wollte sehr gerne meine Eltern kennenlernen und hat auch nicht locker gelassen. Heute bin ich sehr froh darüber, dass sich meine Eltern und Ruth so gut verstehen. Es war jedoch ein langer Weg bis dahin.


In vielem habe ich mich bei Didier Eribons „Rückkehr nach Reims“ wiedergefunden. Ich kenne die Scham über die Herkunft. Ich kenne auch die Scham über die eigene Sexualität. Eribons autobiographische Analyse hat mich, wie viele andere, wirklich sehr berührt. Wer es lesen möchte: https://www.suhrkamp.de/buecher/rueckkehr_nach_reims-didier_eribon_7252.html Auch ich wollte weg und wollte anders sein. Weg von der dörflichen Enge. Weg von meiner Herkunftsfamilie. Ich war anders als alle anderen. Ich passte sowieso nicht rein. Ich gehörte nicht dazu. Ich war lesbisch. Auch wenn ich es damals noch nicht so genannt habe.
Literatur und Sport waren für mich der Ausweg. In Büchern und in der Bewegung war alles gut. Bildung war der Ausweg. Studium war der Ausweg. Bloß nicht so viel schuften wie meine Eltern. Also war ich die erste in der Familie, die studiert hat.
Für mich war es die Rettung: Frauenbewegung. Bildung. Andere Lesben. Weite. Kunst und Kultur.
Auch, wenn ich dafür nun plötzlich meine Herkunft geleugnet habe, habe ich es als unglaublich befreiend empfunden. Wie bei Eribon habe ich für dieses Leugnen die sexuelle Freiheit, die sexuelle Scham ablegen können. Jedoch holt auch mich die Vergangenheit immer wieder ein. So kämpfe ich während ich schreibe immer wieder gegen ein gewisses Gefühl von: „eigentlich kannst du dich doch gar nicht gut genug ausdrücken“ an. „Irgendwann kommt es raus, dass du eine Art Hochstaplerin bist. Dumm und ungebildet.“ Zumindest ist die soziale Scham mir heute sehr bewußt und darum ist es leichter mit ihr geworden. Die soziale Scham ist zwar immer noch da, aber jedesmal wenn ich sie benenne ist es wie ein kleiner Sieg. Eine Sache ist zum Glück ganz anders als bei „Rückkehr nach Reims“: Meine Eltern würden niemals AfD wählen. Also dieses Thema bleibt mir erspart.


Aber nun fragte mich Ruth: „ Was würden wohl die Freunde, die Familie und die Bekannten in Erbstetten sagen, wenn sie wüßten, dass wir lesbisch sind“? Tja. Ich weiß es nicht. Sollen wir sie mal fragen? Und da ist sie doch wieder. Die Scham. Die Angst. Sind sie dann nicht mehr so nett? Lehnen sie uns ab? Ich kann es nicht einschätzen. Aber vielleicht nicht. Eher nicht? Manche nicht? Manche doch. Wie immer…
Es ist gut, darüber zu schreiben. Jedesmal ein kleiner Sieg. Wir könnten ein großes Hochzeitsfest im Stern feiern? Ruth?

9 Antworten auf „Rückkehr nach Erbstetten“

  1. Also, ich wäre dabei, ein großen Hochzeitsfest im Stern! Ob mir dein Papa wohl hilft bei der Herstellung der Schwarzwälder Kirsch Torte?

  2. Kreisch! Sind wir gerade Zeuginnen eine online Heiratsantrages geworden? 👍🥀🥀🥀🥀 Meinen Segen habt ihr (nicht, dass ihr den braucht, aber ihr habt ihn.) juhu juhu. 🥀🥀🥀🥀 Hochzeit, Hochzeit, Hochzeit – tralalalala…

    1. ich schliesse mich Petras geKREISCHe an…!!! 🍾🌈
      (da bei Hochzeit im „Sternen“ sofort der gute alte Eierlikörkuchen vor meinem geistigen Auge auftaucht, würde ich dann sehr gerne einen für euch backen)😂😂

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